Abraham Ulrikab (* 29. Januar 1845 in Hebron auf der Labrador-Halbinsel; † 13. Januar 1881 in Paris) war ein Inuk aus Hebron in der heutigen Provinz Neufundland und Labrador in Kanada. Der Namenszusatz „Ulrikab“ ist eine Fremdzuschreibung der Missionare von Hebron, denn die Inuit führten keine Nachnamen. Er bedeutet „der Ehemann von Ulrike“.
Abraham nahm zusammen mit seiner und einer weiteren Familie an Hagenbecks Völkerschau der „Eskimos“ 1880/81 teil. Er hat seine Erlebnisse in einem Tagebuch niedergeschrieben. Das in Inuktitut geschriebene Original gilt als verschollen, überliefert ist aber eine Übersetzung ins Deutsche.
Von Mitte Dezember bis Mitte Januar starben alle acht Inuit an Pocken. Hagenbecks Agent Johan Adrian Jacobsen hatte versäumt, die Gruppe impfen zu lassen. Abraham Ulrikab verstarb am 13. Januar 1881 im Hôpital Saint-Louis in Paris.
Leben
Leben bis 1880
Abraham wurde am 29. Januar 1845 in Hebron, Labrador, geboren und am 25. Februar getauft. Seine Eltern hießen Paulus und Elisabeth und hatten vier weitere Kinder. Abraham heiratete offenbar zwei Mal: 1868 eine Frau mit dem Namen Martha und 1876 dann Ulrike, mit der er zwei Töchter hatte.
In Europa wählte Abraham als Nachname „Paulus“, also den Namen seines Vaters. Ulrike gab als Nachnamen den Namen ihres Vaters „Henoch“ an. Die Kinder erhielten ebenfalls den Nachnamen „Paulus“. Die Herkunft des später meist genannten Namens „Abraham Ulrikab“ ist aus der Abschrift der Übersetzung durch den Missionar Kretschmer übernommen, wobei es sich um eine Fehldeutung der Unterschrift Abrahams handeln könnte.
Im Jahr 1880, als Johan Adrian Jacobsen ihn in Hebron für die Völkerschau in Europa anwarb, lebte Abraham mit seiner Frau Ulrike (24 Jahre) und seinen beiden Töchtern Maria (vier Jahre) und Sara (10 Monate) in direkter Nachbarschaft zu den deutschsprachigen Missionaren der Herrnhuter Brüdergemeine.
Abraham und seine Frau Ulrike hatten bereits als Kinder bei den Missionaren Lesen und Schreiben in ihrer Sprache und auch etwas Deutsch gelernt. Wie die anderen getauften Inuit lebten sie Teile des Jahres an der Missionsstation, wo sie am Kirchenleben teilnahmen und ihre Jagderträge (Robbenspeck, Pelze) im Missionsladen verkauften. Durch Kontakte mit englischen Händlern und Matrosen hatten sie möglicherweise auch Englischkenntnisse. Abraham galt bei den Missionaren als „sehr fähiger Mann“ und wurde für sein Violinspiel geschätzt.
Gegen den Rat der Missionare stimmte Abraham Jacobsen zu, zusammen mit seiner Familie, seinem Neffen Tobias und einer weiteren dreiköpfigen Inuit-Familie nach Europa zu reisen. Abraham wollte durch die in Aussicht gestellten Verdienste seine 10 £ Schulden bei den Missionaren begleichen. Am 26. August 1880 bestiegen alle acht Inuit den Schoner Eisbär und machten sich auf den Weg nach Europa. Sie kamen am 24. September 1880 in Hamburg an.
Völkerschau
Die Zurschaustellung der „Eskimos“ wurde am 2. Oktober 1880 im Tierpark Hagenbeck am Neuen Pferdemarkt in St. Pauli eröffnet. Am 15. Oktober kamen die Inuit in den Zoologischen Garten Berlin, wo sie bis zum 14. November ausgestellt wurden. Anschließend reisten sie nach Prag, gefolgt von Frankfurt und Darmstadt, Krefeld und schließlich Paris.
Tod
Zwischen dem 14. Dezember und dem 16. Januar starben alle acht Inuit an Pocken. Nachdem Nogassak, Paingu und Sara bereits in Deutschland verstorben waren, wurde der Rest der Gruppe am 9. Januar 1881 ins Hôpital Saint-Louis eingeliefert, wo sie alle innerhalb der nächsten Woche starben. Abraham Ulrikab starb dort am 13. Januar 1881 um 6 Uhr abends auf der Isolierstation des Krankenhauses.
In seinem letzten überlieferten Brief an seinen „Lehrer Elsner“ schrieb Abraham am 8. Januar 1881:
Der Tod der Inuit war auf die Nachlässigkeit Johan Adrian Jacobsens zurückzuführen, der die Gruppe nicht – wie gesetzlich vorgeschrieben – gegen Pocken hatte impfen lassen. Er schrieb deshalb in sein Tagebuch, sich für den Tod der Gruppe verantwortlich zu fühlen.
Abraham und die vier weiteren in Paris verstorbenen Inuit wurden zunächst bestattet, ihre Skelette am 4. Juni 1886 exhumiert und in die anthropologische Sammlung des Muséum national d’histoire naturelle überführt, wo sie sich bis heute befinden.
Tagebuch
Abraham führte während der Völkerschau ein Tagebuch. Nach dem Tod der Inuit wurde es zusammen mit den Ausrüstungsgegenständen der Gruppe zurück nach Hebron geschickt. Das Original des Tagebuchs ist nicht überliefert, es liegt aber in einer von Carl Gottlieb Kretschmer (Genannt: Bruder Kretschmer) nach 1881 angefertigten 14-seitigen, etwa 2300 Wörter zählenden Übersetzung vor. Ob die eigentümliche Sprache „auf eine schnelle Übersetzung zurückzuführen ist oder auf eine Übernahme der Syntax des Inuktitut“, ist unklar. Der Übersetzer hat möglicherweise einige Passagen ausgelassen. Beispielsweise wird die Untersuchung durch Rudolf Virchow im Tagebuch nicht erwähnt.
Die Tagebucheinträge beginnen Mitte Oktober während des Aufenthaltes in Berlin:
Die Inuit nannten die Europäer „Kablunat“. Abraham berichtet weiter ausführlich über den Besuch seiner Familie bei Versammlungen der dortigen Herrnhuter Brüdergemeine und den Besuch eines Wachsfigurenkabinetts:
Abraham dokumentiert in seinem Tagebuch die Gewaltanwendungen durch Johan Adrian Jacobsen gegen Tobias:
Angesichts des großen Besucheransturms griff Abraham aber auch selbst zur Peitsche, um sich gegen deren Übergriffigkeiten zu wehren:
In den letzten beiden Absätzen schildert Abraham den Tod von Nugassak, Paignu und seiner vierjährigen Tochter Sara. Ulrike und Abraham ließen das schwerkranke Kind in Krefeld zurück, um weiter nach Paris zu reisen.
In seiner Darstellung Abraham Ulrikab im Zoo urteilt Hartmut Lutz: „Das gesamte Tagebuch ist ein tief deprimierendes Dokument, da es trotz tapferer gegensätzlicher Beteuerungen ein immer stärker werdendes Gefühl der Verdammnis hinterlässt.“
Dokumentarfilm
Trapped in a Human Zoo: Based on Abraham’s Diary, CBC Television 2016.
Literatur
- Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung „exotischer“ Menschen in Deutschland 1870–1940. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-593-37732-2.
- Gabriele Eissenberger: Entführt, verspottet und gestorben – Lateinamerikanische Völkerschauen in deutschen Zoos. Verlag für Interkulturelle Kommunikation, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-88939-185-0.
- Hartmut Lutz (Hg.): Abraham Ulrikab im Zoo. Tagebuch eines Inuk 1880/81. Von der Linden, Wesel 2007, ISBN 978-3-926308-10-8.
- France Rivet: In the footsteps of Abraham Ulrikab. The events of 1880–1881. Gatineau, Québec 2014, ISBN 978-0-9936740-6-8.
- James Garth Taylor: An Eskimo abroad, 1880. His diary and death. In: Canadian Geographic, Jg. 101, H. 5 (1981), S. 38–43.
- Hilke Thode-Arora: Für fünfzig Pfennig um die Welt. Die Hagenbeckschen Völkerschauen. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-593-34071-2.
- Hilke Thode-Arora: Das Eskimo-Tagebuch von 1880. Eine Völkerschau aus der Sicht eines Teilnehmers. In: Kea, Bd. 2 (1991), S. 87–116.
Nachweis des Tagebuchs
- Abraham Ulrikab: Tagebuch des Hebroner Eskimos Abraham von seinem Aufenthalt in Europa 1880/81, übersetzt von Br. Kretschmer. Unveröffentlichtes Manuskript, Moravian Church Archives in Betlehem: Records of the Labrador Mission Stations, 13557–13571; abgedruckt in: Hartmut Lutz (Hg.): Abraham Ulrikab im Zoo. Tagebuch eines Inuk 1880/81. Wesel 2007, ISBN 978-3-926308-10-8, S. 28–42.
Weblinks
Online-Beiträge
- Ulrikab, Abraham Online unter: Inuit Literatures − ᐃᓄᐃᑦ ᐊᓪᓚᒍᓯᖏᑦ − Littératures inuites, ohne Datum, abgerufen am 31. März 2024.
- Miriam Gröpl: Das Schicksal der Familie Ulrikab – Inuit bei Hagenbeck. Online unter: Geschichtsbuch Hamburg, 14. Juli 2017, abgerufen am 30. März 2024.
- Wolfgang Opel: Abraham und die Labrador-Inuit in Europa. Online unter: Trimaris, 6. Juni 2019, abgerufen am 30. März 2024.
- Mechthild Opel: Eine Rose für Noggasak. Online unter: Trimaris, 14. April 2019, abgerufen am 21. April 2024.
Einzelnachweise


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